AGS bei Jugendlichen

In diesem Kapitel erfahren Sie Wichtiges im Umgang mit Jugendlichen, die ein AGS haben. Auch in der Pubertät ist eine lückenlose Einnahme der lebenswichtigen Medikamente unentbehrlich. Experimentiert werden kann in allen anderen Lebensbereichen – hier jedoch nicht! Daneben lesen zur Unterzuckerungsneigung im Sport und vorbeugenden Maßnahmen. Schließlich gibt es einige Besonderheiten hinsichtlich unterschiedlicher Kontrolluntersuchungen bei Mädchen und Jungen in der Pubertät sowie in besonderen belastenden Phasen (z.B. Stress und Reisen) zu beachten.

AGS mit Salzverlust

Im jugendlichen Alter durchleben alle Menschen eine Phase, in welcher sie sich dem elterlichen Einfluss zunehmend entziehen möchten. Diese Phase ist auch durch eine erhebliche Kreativität und eine gesteigerte Risikobereitschaft gekennzeichnet. Die eigene Persönlichkeit reift in dieser Phase weiter aus, neue Bezugspersonen werden gewählt und erste Partnerschaften entstehen. All diese Veränderungen können auch Einflüsse auf den Umgang mit einer chronischen, d. h. dauerhaften Erkrankung haben. Darüber hinaus gibt es auch für AGS spezifische Veränderungen, die in dieser Phase ablaufen. Beispielsweise verläuft bei Jugendlichen der Kortisol – Abbau der eingenommenen Hydrocortison – Medikation schneller als bei jüngeren Kindern (bei Mädchen ausgeprägter als bei Jungen). Es kann dementsprechend eine höhere Dosis Hydrocortison benötigt werden. Außerdem steigen im jugendlichen Alter langsam die Konzentrationen der Sexualhormone (Östrogen beim Mädchen, Testosteron beim Jungen) an.

Das im Blut gemessene Testosteron kann in diesem Rahmen auch zunehmend aus den Keimdrüsen stammen und nicht mehr nur aus der Nebenniere wie vor dem Beginn der Pubertätsentwicklung. Dies muss bei der Beurteilung der hormonellen Einstellung von den behandelnden Ärzten beachtet werden. Manchmal ist die Phase der Jugend auch durch eine verminderte Therapieadhärenz gekennzeichnet. Dies bedeutet, dass Jugendliche die Medikamente nicht mehr ganz so regelmäßig einnehmen und auch hier Grenzen austesten möchten. An diesem Punkt kann es gefährlich werden! Das Risiko für eine Nebennierenkrise steigt und ist die Kontrolle der Androgen-Synthese der Nebenniere einmal durchbrochen, dauert es oft, bis wieder eine gute AGS-Einstellung erzielt ist. In Folge unregelmäßiger oder ausbleibender Medikamenteneinnahmen kann es zu schlechtem Wohlbefinden mit Antriebslosigkeit, niedrigem Blutdruck sowie zur Vermännlichung bei weiblichen Jugendlichen kommen. Als gefährlichste Komplikation kann die bereits erwähnte Nebennierenkrise auftreten, die es unbedingt zu vermeiden gilt!

AGS und Sport

Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass bei Menschen mit AGS sowohl bei Kurzzeitbelastung als auch bei Ausdauersport nicht nur die Cortisol-Reserve eingeschränkt ist, sondern der Körper auch weniger von einem weiteren Stresshormon – dem Adrenalin – bereitstellen kann. Adrenalin wird normalerweise bei Sport und anstrengender körperlicher Betätigung vermehrt vom Nebennierenmark gebildet und führt zum Beispiel zu einem Anstieg der Herzfrequenz und des Blutdrucks. Außerdem führt Adrenalin dazu, dass dem Körper „Zucker“ in Form von Glukose zur Verfügung gestellt wird, der dann den Muskeln als Energiequelle zur Verfügung steht.

Da bei Menschen mit AGS damit zwei Blutzucker stabilisierende Hormone vermindert sind, kann es vor allem bei längerer sportlicher Aktivität (Ausdauersport) zu einer Unterzuckerungsneigung kommen. Daher empfehlen wir, zum Sport schnellresorbierbare Kohlenhydrate mitzunehmen und gegebenenfalls vor oder während dem Sport Kohlenhydrate zu konsumieren. Geeignete Kohlenhydrate sind Obst (z. B. Bananen), Müsliriegel, Apfelsaftschorle oder zuckerhaltige, isotonische Getränke. Um den Flüssigkeits- und Elektrolytverlust während des Sports zu ersetzen, sollte auch auf eine ausreichende Trinkmenge geachtet wer-den. Unter diesen Maßnahmen ist ein Mensch mit AGS voll leistungsfähig und kann auch sportlich sehr erfolgreich sein! Eine zusätzliche Gabe von Glukokortikoiden (Hydrocortison) ist vor Sport nicht erforderlich. Dass dies keine Vorteile bringt, wurde ebenfalls in wissenschaftlichen Untersuchungen bestätigt. Eine dauerhaft zu hohe Glukokortikoiddosis kann sogar zu einer Verringerung der Muskelmasse und der Muskelkraft führen und sollte daher vermeiden werden. Wenn ein Mensch mit AGS Hochleistungssport betreibt, muss die Einnahme von Glukokortikoiden bei der Nationalen Anti-Doping Behörde (NADA) angegeben werden. Zusätzlich muss Notwendigkeit der Einnahme ärztlich bestätigt werden, da alle Glukokortikoide auf der Verbotsliste der nationalen und weltweiten Anti-Doping Agentur stehen.

Unsere Broschüre

An dieser Stelle möchten wir Ihnen gerne die Möglichkeit geben, die Broschüre der AGS Initiative e.V. herunterzuladen. Diese umfassende Broschüre enthält neben den Themen, mit denen wir uns auf unserer Homepage befassen, weiterführende Informationen, beispielsweise Familienplanung und Fertilität. Ein besonderes Kapitel ist dem Formellen und Bürokratischen rund um das Adrenogenitale Syndrom (AGS) gewidmet.

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Besonderheiten bei Mädchen mit AGS

Bei Mädchen tritt ca. 2 Jahre nach Pubertätsbeginn die erste Regelblutung auf. Davor sollten Mädchen mit AGS jugendgynäkologisch untersucht werden, um sicherzustellen, dass es für die Regelblutung kein Abflusshindernis im Körper gibt. Jugendgynäkologisch bedeutet hier, dass die durchführenden Frauenärzte in einer vorsichtigen Untersuchung von Jugendlichen besonders ausgebildet sind und währenddessen sehr behutsam vorgehen. Falls im Kleinkindalter eine Operation im Genitalbereich stattgefunden hat, wäre jetzt auch ein guter Zeitpunkt, die Jugendlichen nochmal genauestens zu informieren, sollte dies bislang noch nicht ausführlich geschehen sein. Wenn das AGS nicht gut eingestellt ist und die Androgene folglich erhöht sind, kommt es bei Frauen mit AGS zu vermehrter Körperbehaarung vom männlichen Behaarungstyp – auch „Hirsutismus“ genannt. Hinzukommen können Zyklusunregelmäßigkeiten mit eingeschränkter Fruchtbarkeit.

Besonderheiten beim Jungen mit AGS (Pubertät/TART)

Bei Jungen mit AGS kann es ab dem jugendlichen Alter zur Bildung von gutartigen „Knoten“ im Hoden kommen. Früher wurde dies meist nur bei sehr schlechter AGS-Einstellung beobachtet. Diese „Knoten“ werden „TART“ (=testikuläre adrenale Resttumoren) genannt. Ab Beginn der Pubertätsentwicklung wird deshalb auch bei Jungen mit AGS jährlich eine Ultraschall-Untersuchung der Hoden empfohlen. Bösartig sind die „TART“ nicht, sie können aber lokal den Hoden durch Druck schädigen und die Fruchtbarkeit beeinträchtigen. Wenn TART diagnostiziert werden, sollte die AGS-Medikation überprüft und bei schlechter Einstellung optimiert werden. Außerdem kann vorbeugend über die Option einer Spermien-Konservierung nachgedacht werden.

Kontrolluntersuchungen/Behandlungsplan

Auch für Jugendliche mit AGS sollen regelmäßig Kontrolluntersuchungen durchgeführt werden, um die AGS-Einstellung zu prüfen und mögliche Nebenwirkungen einer Langzeit-Glukokortikoidtherapie zu erfassen. Im jugendlichen Alter erfolgen Kontrollen meistens in halbjährlichen Abständen. Prinzipiell sollten bei jeder Kontrolle Größe, Gewicht und Blutdruck ermittelt werden. Bis zum Alter von 15 Jahren bei Mädchen und bis zum Alter von 17 Jahren bei Jungen macht eine Bestimmung des Knochenalters durch ein Röntgenbild der (linken) Hand Sinn.

Sobald die Wachstumsfugen verschlossen sind, muss das Knochenalter nicht mehr bestimmt werden. Im Normalfall wird einmal jährlich eine Blutabnahme durchgeführt – vor allem um die Elektrolyte und das Renin zu bestimmen. Neben weiteren Nebennierenhormonen werden oft auch noch die Blutfettwerte, der Blutzucker und das Vitamin D überprüft. Die AGS-Einstellung kann außerdem noch durch ein 17-OH-Progesteron-Tagesprofil im Speichel, im Kapillarblut oder im 24h-Sammelurin überprüft werden. Eine Knochendichtemessung sollte im jungen Erwachsenenalter zwischen 25 und 30 Jahren erfolgen. Wie bereits erwähnt, gehören bei Mädchen im jugendlichen Alter die jugendgynäkologische Untersuchung und bei Jungen die jährliche sonographische Untersuchung der Hoden zum Standard.

Medikamentenanpassung bei Zeitumstellung auf Reisen

Einnahme-Uhrzeit, zusätzliche Dosis

Medikamentenanpassungen können bei Reisen in unterschiedliche Zeitzonen relevant werden. Beträgt die Zeitverschiebung nur 2 – 3 Stunden, ist dies meist irrelevant. Bei einer Zeitverschiebung um ≥4 Stunden wird es etwas komplizierter. Bei einer Reise nach Westen verlängert sich der Tag, d. h. eine zusätzliche Hydrocortison-Einnahme ist sinnvoll. Bei einer Reise nach Osten verkürzt sich der Tag, d.h. dass gegeben falls eine Hydrocortison-Dosis reduziert oder weggelassen werden kann. Zu beachten ist, dass der menschliche Biorhythmus etwa 3 – 5 Tage braucht, um sich an eine neue Zeitzone zu gewöhnen. Vor geplanten Auslandsreisen mit relevanter Zeitverschiebung sollte das Vorgehen individuell mit der behandelnden Ärztin bzw. dem behandelnden Arzt besprochen werden.

Prinzipiell gilt, dass auf Reisen immer genug Medikamente mitgenommen werden müssen, auch für den Fall einer längeren Stressdosis. Im Sinne einer Risikostreuung sollten die Medikamente auf Flugreisen auf das aufgegebene Gepäck und das Handgepäck aufgeteilt werden. Bei Reisen in wärmere Länder sollen Prednison Zäpfchen gekühlt werden. Die Hydrocortison Notfallampulle (inkl. Nadeln und Spritzen) sollte mitgenommen werden. Der europäische Notfallausweis sollte nicht vergessen werden. Oft ist es auch hilfreich eine Kopie des letzten Arztbriefes mitzunehmen oder abzufotografieren und sich bereits im Vorfeld zu erkundigen, wo im Urlaubsziel eine ärztliche Behandlung mit endokrinologischer Expertise möglich ist.

Schule

Prinzipiell empfiehlt sich in der Schule ein möglichst offener Umgang mit der Erkrankung, wobei es prinzipiell ausreichend ist, als Diagnose mittzuteilen, dass eine angeborene Nebennierenunterfunktion vorliegt. In der Schule sollten ein Notfallausweis, Hydrocortison Tabletten, Prednison Zäpfchen und ggf. auch eine Hydrocortison-Notfallampulle hinterlegt sein. Im Notfall sollten Notärzte und die Eltern informiert werden. Generell wird keine Empfehlung zu einer Hydrocortison-Stressdosis bei psychischem Stress oder Prüfungsstress ausgesprochen. Dies sollte allenfalls absoluten Ausnahmesituationen wie Todesfällen von nahen Angehörigen, der Abiturprüfung oder einer vergleichbaren Abschlussprüfung vorbehalten bleiben. Prinzipiell sollten solche Dosiserhöhungen nur nach Rücksprache mit den behandelnden Ärzten erfolgen. Es gilt auch zu beachten, dass eine hohe Hydrocortison-Dosis die Nervosität verstärken kann, weil man sich nach einer höheren Hydrocortison-Dosis auch „aufgekratzt“ fühlen kann.