Notfallmanagement beim Adrenogenitalen Syndrom (AGS)

In besonderen Risikosituationen wie Fieber, Infektionen oder schweren Erkrankungen kann eine Nebennierenkrise auftreten. Um diese zu vermeiden, ist die rechtzeitige Einnahme einer erhöhten Hydrocortison-Stressdosis entscheidend. Hier finden Sie Anleitungen zur Dosierung, Verabreichung und Anpassung von Hydrocortison, einschließlich Tabletten, Zäpfchen und Notfallampulle. Zusätzlich werden Handlungsanweisungen für Unfälle und operative Eingriffe sowie die Bedeutung eines individuellen Notfallsets erläutert.

Krankheiten & Notfälle, Unfall und operative Eingriffe

Besondere Risikosituationen, in denen eine Nebennierenkrise auftreten kann, sind vor allem Fieber, Atemwegs- oder Magen-Darm-Infekte und andere schwere Erkran-kungen oder Unfälle. Um eine Nebennierenkrise zu vermeiden, ist es wichtig, dass man daran denkt, bei Fieber oder Infekten eine Hydrocortison-Stressdosis einzunehmen. Dabei wird die Hydrocortisondosis mindestens verdoppelt, bei hohem Fieber und schlechtem Zustand wird sie sogar verdreifacht bis verfünffacht! Im Zweifels-fall sollte man im Erkrankungsfall immer die höhere Hydrocortison-Dosis wählen! Bei wiederkehrendem Erbrechen kann auch ein Prednison-Zäpfchen verabreicht werden. Prednison ist ein stark wirksames „Kortisonpräparat“, das auch als Zäpfchen verabreicht werden kann.

Die folgende Tabelle gibt einen Überblick zu einer möglichen Stressdosis-Anpassung von Hydrocortison. Da Hydrocortison eine relativ kurze Wirkdauer hat, kann es bei schwerer Erkrankung auch sinnvoll sein, die erhöhte Hydrocortisondosis auf mehre-re Einzelgaben aufzuteilen:

Wenn alles nicht mehr hilft und sich der Zustand immer mehr verschlechtert, gibt es auch die Hydrocortison-Notfallspritze: Dabei kann das Hydrocortison entweder wie bei einer Impfung in den Muskel („intramuskulär“) gespritzt werden oder ins Unterhautfettgewebe („subkutane Injektion“). Bei einer subkutanen Injektion handelt es sich um einen Gebrauch außerhalb der offiziellen Zulassung des Medikamentes. Viele Menschen mit einer Nebennierenin-suffizienz bevorzugen trotzdem die subkutane Injektion, wobei die Wirkung bei dieser nur ca. 11 Minuten langsamer als bei einer intramuskulären Injektion eintritt. Auf jeden Fall sollte man sich nach der Gabe der Hydrocortison-Notfallampulle bei seiner Ärztin bzw. seinem Arzt vorstellen, um den Gesundheitszustand zu überprüfen und das weitere Vorgehen zu besprechen.

 

>38,5°C, leichte Erkrankung

>39°C

>40°C

Schwere Erkrankung

Erbrechen

Hydrocortison

2-fach

3-fach

5-fach

Gabe wiederholen, bei anhaltendem Erbrechen, 100 mg Prednison oder Prednisolon supp. bzw. Notfallspritze und ärztliche Vorstellung

Fludrocortison

Dosis unverändert fortsetzen

Unfälle

Bei kleineren Verletzungen wie geschlossenen Knochenbrüchen, Schädelprellungen oder großflächigen Schürfwunden ist im Normalfall eine Verdoppelung der Hydrocortison-Dosis ausreichend. Bei offenen Knochenbrüchen, mehreren Knochenbrüchen, Polytrauma oder schwerem Schädel-Hirn-Trauma ist eine höhere Stressdosis (3-fache bis 5-fache Dosis) bzw. eine intravenöse Hydrocortison-Stressdosis mit 100 mg/m²/Tag indiziert, wenn wegen chirurgischer Eingriffe eine Nüchternheit erforderlich ist.

Operative Eingriffe

Bei kleineren operativen Eingriffen, die ambulant durchgeführt werden (z. B. in der Zahnarztpraxis), ist in der Regel auch eine Verdoppelung der Hydrocortison-Dosis ausreichend. Bei Narkoseuntersuchungen oder größeren Operationen übernimmt die Narkoseärztin bzw. der Narkosearzt nach Rücksprache mit einer Endokrinologin bzw. einem Endokrinologen das Hydrocortison-Stressdosis Management. Wichtig ist es, im Narkosevorgespräch auf die angeborene Nebenniereninsuffizienz hinzuweisen und alle wichtigen Unterlagen (Arztbrief mit Kontaktdaten, Notfallausweis) dabei zu haben.

Notfallset

Tabletten, Zäpfchen, Notfallspritze, Ausweis, Arztbrief

Jeder Mensch mit AGS sollte sich eine kleine Notfalltasche bzw. ein kleines Notfallset mit folgenden Inhalten zusammenstellen:

  • Hydrocortison Tabletten für eine Stressdosis
  • Prednison-Zäpfchen
  • Hydrocortison Notfallampulle (+Nadeln + Spritzen)
  • Notfallausweis
  • Arztbrief
  • Traubenzucker bei Unterzuckerungsneigung

Musterrezept für die Hydrocortison Notfallampulle und Notfallset

Unsere Broschüre

An dieser Stelle möchten wir Ihnen gerne die Möglichkeit geben, die Broschüre der AGS Initiative e.V. herunterzuladen. Diese umfassende Broschüre enthält neben den Themen, mit denen wir uns auf unserer Homepage befassen, weiterführende Informationen, beispielsweise Familienplanung und Fertilität. Ein besonderes Kapitel ist dem Formellen und Bürokratischen rund um das Adrenogenitale Syndrom (AGS) gewidmet.

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Nebennierenkrise

Zur Definition der Nebennierenkrise gehört auch die Tatsache, dass sich der klinische Zustand auf eine Glukokortikoid (Hydrocortison) Zufuhr hin bessert. Nebennierenkrisen treten mit einer Häufigkeit von circa 5 – 10 Nebennierenkrisen pro 100 Patientenjahren auf. Im Rahmen einer Infektionserkrankung kommt es generell zu einem Anstieg der Entzündungsbotenstoffe Zytokine), die eine Entzündungsreaktion im Körper verursachen. Im Rahmen der Entzündungsreaktion kommt es zu einer Glukokortikoidresistenz. Beim Nebennierengesunden wird deshalb vermehrt Kortisol ausgeschüttet, um die Entzündungsreaktion abzuschwächen und die Glukokortikoidresistenz zu überwinden. Bei einem Menschen mit Nebennierenunterfunktion, kann ohne eine Hydrokortison-Dosiserhöhung die Entzündungsreaktion nicht abgemildert und die Glukokortikoidresistenz nicht überwunden werden. Diese beiden Mechanismen treiben die Patienten in die potenziell tödliche Nebennierenkrise. Typische Triggersituationen für eine Nebennierenkrise stellen Infektionserkrankungen (vor allem Infekte der oberen Atemwege, andere fieberhafte Infektionen und Magen-Darm-Infekte) sowie schwere Unfälle oder Operationen dar. Am gefährdetsten sind daher Klein- und Schulkinder, aber auch eine reduzierte Therapietreue im jugendlichen und jungen Erwachsenen Alter stellt ein erhöhtes Risiko für eine Nebennierenkrise dar. Auf Grund des Risikos einer Nebennierenkrise werden Menschen mit einer Nebenniereninsuffizienz und deren Angehörige geschult, in Situationen mit Infekten, Fieber, Operationen oder Narkosen eine Hydrocortison Stressdosis anzuwenden.

 

Eine Nebennierenkrise ist definiert als eine erhebliche Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes mit mindestens zwei der folgenden Symptome oder Befunde:

  • Niedriger Blutdruck
  • Übelkeit oder Erbrechen
  • Schwere Abgeschlagenheit
  • Fieber
  • Schläfrigkeit / Apathie
  • Hyponatriämie (=Natriummangel im Blut, sogenannter Salzverlust; Natrium ≤132 mmol/l) oder Hyperkaliämie
  • Unterzuckerung