AGS im Kindesalter

In diesem Kapitel lesen Sie über AGS im Kindesalter. Es geht um wichtige Etappen auf dem Weg zu einer individuell passenden Einstellung der Medikamente und regelmäßige Kontrolluntersuchungen bei Spezialisten oder in spezialisierten Zentren. Für die regelmäßigen Untersuchungen sind ein sensibler Raum und Umgang wichtig. Schließlich erfahren Sie allerlei Wissenswertes zu verschiedenen Formen der Laborkontrollen und wertvolle Tipps, wie Sie bei möglicher Spritzenangst Ihres Kindes handeln können.

Behandlung von AGS

Ab dem 3. Lebensjahr kann die Therapieüberwachung durch das sogenannte „24-Stunden 17-OH-Progesteron (Kortisolvorstufe) Speichelprofil“ erfolgen. Der Vorteil ist, dass dieses zu Hause entnommen und per Post an die behandelnden Ärzte geschickt werden kann. Die aktuellen Laborergebnisse liegen in der Folge dann bereits vor, wenn man zum Kontrollbesuch ins Krankenhaus kommt. Diese Besuche finden ab dem 4. Lebensjahr halbjährlich statt. Der Arzt oder die Ärztin untersuchen das Kind, um festzustellen, ob etwas auf eine zu niedrige oder zu hohe Medikamentendosierung hinweist. Manche Zentren verwenden wie beim Neugeborenen-Screening eine Filterpapierkarte, auf die jeweils vor der Medikamenteneinnahme eine kapilläre Blutprobe aus dem Finger oder Ohr getropft wird. Daraus lässt sich ebenfalls problemlos ein 17-OH-Progesteron-Tagesprofil erstellen.

Ab dem Zeitpunkt, wo eine Urinsammlung möglich ist, kann auch die AGS-Einstellung mit einem sogenannten „Harnsteroidprofil“ im 24-Stunden Sammelurin überprüft werden. Alle Methoden weisen unterschiedliche Vor- sowie Nachteile auf und die jeweilige Verfügbarkeit hängt vom betreuenden kinderendokrinologischen Zentrum ab.

Der wichtigste klinische Parameter zur Beurteilung der AGS-Einstellung bei Kindern ist ein normales, lineares Wachstum. Dies bedeutet, dass während des Körperwachstums weder eine übermäßige Wachstumsbeschleunigung noch ein Wachstumsknick eintreten sollten. Aus diesem Grund ist die akkurate Körperlängenmessung von großer Wichtigkeit. Bei einer Fludrocortison-Überdosierung kann es zu Bluthochdruck kommen. Der Blutdruck sollte bei jeder Kontrolle gemessen werden – was gerade bei noch sehr jungen Kindern eine echte Herausforderung darstellen kann!

Zeichen einer nicht ausreichenden Einstellung mit Hydrocortison

Folgende Symptome können auf eine nicht ausreichende Dosierung hinweisen:

  • ungewöhnliche Müdigkeit und Schwäche
  • Kopfschmerzen und Schwindelgefühl
  • Übelkeit und Erbrechen
  • Appetitlosigkeit
  • Magenschmerzen
  • Gewichtsverlust
  • dunkle Pigmentierung der Haut

Folgende Symptome können auf eine zu hohe Dosis hinweisen:

  • Gewichtszunahme
  • rundes Gesicht
  • verlangsamtes Wachstum
  • hoher Blutdruck

Beachten Sie unbedingt: Sollten Ihnen als Eltern oder betreuenden Personen diese Symptome auffallen, müssen Sie unbedingt einen zeitnahen Termin bei einer Spezialistin oder einem Spezialisten vereinbaren und dabei auf die Dringlichkeit der Symptome hinweisen!

Bei einer langanhaltenden Unterdosierung mit Hydrocortison können die erhöhten Androgene bei Jungen und Mädchen zu einer Vermännlichung führen. Diese geht in der Regel mit einer allgemeinen Zunahme von Körperbehaarung und Muskulatur, mit einem Auftreten bzw. starker Vermehrung der Schambehaarung sowie einem Tieferwerden der Stimme einher. Hinzukommend ist das Körperwachstum zunächst beschleunigt – da sich die Wachstumsfugen jedoch durch den Einfluss der Androgene zügiger schließen, bleiben die Betroffenen meist als erwachsene Menschen zu klein. Bei Mädchen kann es zum Ausbleiben der Regelblutung kommen. Damit einhergehend ist bei schlechter Therapieeinstellung die Fruchtbarkeit deutlich herabgesetzt. Zusätzlich besteht die Gefahr, dass sich bei Jungen die Hoden verändern (siehe Kapitel Besonderheiten bei Jungen mit AGS zu TART).

Eine Vorstellung und schlimmstenfalls eine Zurschaustellung des kindlichen Intimbereichs in Vorlesungen und/oder Studentenunterrichten oder Begehungen für medizinisches Personal sollte prinzipiell vermieden werden – hier besteht die Gefahr einer Traumatisierung für das Kind! Glücklicherweise finden solche Zurschaustellungen im Normalfall heute nicht mehr statt. Allenfalls müssen sie sehr sensibel mit dem Kind abgesprochen werden und sollten nur auf dessen ausdrückliches Geheiß sattfinden.

Krippe, Kindergarten und Schule

In Krippe und Kindergarten sollte die betreuenden Pädagogen über die Nebenniereninsuffizienz des Kindes und über das Vorgehen bei plötzlich auftretendem Fieber, bei schwerer Verletzung oder einem schweren Unfall informiert werden. Der Notfallausweis, zusätzliches Hydrocortison, Prednison-Zäpfchen und ggf. auch eine Hydrocortison-Notfallampulle sollten dort immer in haltbarer Form hinterlegt sein.

Hinweis: Auf der Homepage der AGS- Eltern- Patienteninitiative e.V. ist ein Informationsblatt für erzieherisches Personal erhältlich und steht zum Download bereit

zum Download

Therapiekontrollen

Die Art der Therapieüberwachung ist zwar von Zentrum zu Zentrum unterschiedlich, aber eigentlich so wichtig wie die Behandlung selbst. Obwohl die Unterschiede in der Überwachung zunächst variieren, gibt es viele unterschiedliche, jedoch gleich zuverlässige Methoden der Therapiekontrolle. Zur Auswahl stehen beispielsweise 17-OH-Progesteron-Speichelprofile, 17-OH-Progesteron-Profile in der Filterpapierkarte aus Kapillarblut oder ein Harnsteroidprofil im 24-Stunden Sammelurin mit unterschiedlichen Vor- und Nachteilen. Wie bereits erwähnt ist neben den Laboruntersuchungen die Überwachung der jeweiligen Größen- und Gewichtsentwicklung von großer Bedeutung. Im Allgemeinen wachsen Kinder und Jugendliche mit konstanter Wachstumsgeschwindigkeit auf einer Linie der körperlichen Wachstumskurve – auch Perzentile genannt– entlang und werden so groß wie ihre Eltern es Ihnen über die Vererbung mitgegeben haben. Dies wird als genetische Zielgröße bezeichnet. Eine Wachstumskurve sollte lückenlos geführt werden. Allein durch das Überwachen der Größen- und Gewichtsentwicklung entstehen Hinweise für eine Über- oder Unterdosierung der entsprechenden Medikamente. Bei einer Unterdosierung ist das körperliche Wachstum beschleunigt und bei einer Überdosierung verlangsamt. Bei guter Einstellung ist es völlig normal und die Kinder können die sogenannte genetische Zielgröße erreichen. Die Kontrolluntersuchungen sollten in den ersten beiden Jahren vierteljährlich stattfinden. Ab dem 3. bis 4. Lebensjahr kann bei unauffälligen Verläufen ein 6-monatiger Abstand zwischen den Untersuchungen ausreichen. Der Blutdruck sollte bei den Kontrolluntersuchungen regelmäßig gemessen werden.

Es sollte diskret und nicht bei jeder einzelnen Vorstellung der Stand der Pubertätsentwicklung festgestellt werden, wobei eine Inspektion des Genitals bei dokumentierter guter Einstellung keinesfalls alle 3 – 4 Monate erforderlich ist. Seien sie in Abstimmung mit den behandelnden Ärzten immer sehr sensibel gegenüber dem Kind. Die Bestimmung des Knochenalters sollte erfolgen, wenn Hinweise auf eine Über- oder Unterdosierung vorliegen. Solche Anhaltspunkte finden sich in Bezug auf Anomalien im Körperwachstum oder der Laborbefunde. Regelmäßige Röntgenuntersuchungen zur Feststellung des Knochenalters sind normalerweise nicht nötig, wenn die Einstellung gut und lückenlos dokumentiert ist

Laboruntersuchungen

Die Spiegel der Nebennierenhormone schwanken erheblich innerhalb von 24 Stunden. In den frühen Morgenstunden zwischen 4 und 6 Uhr steigt das Cortisol zunächst an. Morgens sind die Konzentrationen hoch, fallen dann über Tag ab und sind gegen Mitternacht am niedrigsten. Nach einer Dosis Hydrocortison fallen die Androgenspiegel ab. Beachten Sie, dass einzelne Blutspiegelmessungen zu nicht definierten Zeitpunkten daher wenig aussagekräftig sind. Im Blut gemessen werden 17-OH-Progesteron, Androstendion, Testosteron, DHEAS (Testosteronvorstufe der Nebennierenrinde) und ACTH (Botenstoff der Hypophyse zur Stimulation der Nebennierenrinde). Elektrolyte und Renin werden zusätzlich bei Patienten mit Mineralokortikoid-Behandlung bei einem Salzmangel gemessen. Um eine bessere Auskunft über die Hormonspiegel während eines Tages zu erlangen, eignen sich Profile aus Speichelproben, für die keine Blutentnahme nötig ist. Dies erlaubt die Hormonkonzentration in normalen Lebensumständen in Abhängig-keit von der normalen oder der besonderen Belastung (z. B. Leistungssport) zu messen und Dosisanpassungen bedarfsgerecht zu bestimmten Tageszeiten vorzunehmen. Solche Profile können alternativ auch aus Kapillarblut erstellt werden, welches nach einem Fingerstich auf eine Filterpapierkarte getropft wird. Eine weitere Möglichkeit, die AGS Einstellung über den Tag zu beurteilen, stellt das Harnsteroidprofil im 24 Stunden Sammelurin dar. Beachten Sie, dass die verschiedenen Methoden unterschiedliche Vor- und Nachteile haben und nicht alle Methoden in allen kinderendokrinologischen Zentren verfügbar sind.

 

Salivetten

Für das Speichelprofil 17-OH-Progesteron sollte der Speichel vor der jeweiligen Hydrocortison-Einnahme gesammelt werden (d. h. im Normalfall drei Proben/Tag).

Weitere Zeitpunkte können bei speziellen Fragestellungen sinnvoll sein. Bitte besprechen Sie dieses stets mit Ihrem Kinderendokrinologen. Die sogenannten Salivetten bestehen aus einem Sammelgefäß, einem Einhängegefäß und einer Kunstfaserrolle.

Anwendung
  • Kunstfaserrolle entnehmen und etwa 1-2 Minuten im Mund kauen bis sie voll mit Speichel durchtränkt ist
  • Watterolle zurück in das Einhängegefäß und dies dann in das Sammelgefäß geben
  • Jede Salivette mit Namen und Uhrzeit beschriften
  • Speichelproben können bei Raumtemperatur aufbewahrt werden
  • Postversand ist ohne Kühlung auch bei sommerlichen Temperaturen möglich

Filterpapierkarte

Für das 17-OH-Progesteron Tagesprofil aus Kapillarblut wird eine Lanzette bzw. Stechhilfe für den Fingerstich und eine Filterpapierkarte (wie für das Neugeborenen Screening) benötigt. Genau wie beim Speichelprofil wird in der Regel vor der Hydrocortison-Einnahme eine Laborprobe gewonnen. Das Filterpapier soll mit dem Blut gut durchtränkt sein, sodass auf beiden Seiten der Karte das Blut sichtbar ist. Anschließend lässt man die Filterpapierkarte lufttrocknen – erst danach ist sie für den Versand bereit!

Anwendung
  • Finger waschen und abtrocknen (zuhause ist keine Desinfektion notwendig)
  • Fingerstich mit Lanzette/Stechhilfe
  • Blutstropfen auf Filterpapierkarte auftragen, bis die Markierung auf beiden Seiten gut mit Blut durchtränkt ist
  • Filterpapierkarte mit Namen und Uhrzeit beschriften
  • Filterpapierkarte lufttrocknen lassen
  • Postversand ins Labor

Harnsammlung

Der Harn wird über 24 Stunden gesammelt. Wichtig ist, dass nur ein Morgenurin in die Harnsammlung eingeht! Am Tag der Urinsammlung sollten keine ungewöhnlichen oder stressigen Aktivitäten geplant werden. Die Medikamente sollen wie immer eingenommen werden.

Anleitung
  • Start im Laufe des Morgens, wobei der erste Morgenurin verworfen wird. Ab dann erst läuft die Sammelzeit!
  • Alle weiteren Urinportionen werden in einem Sammelgefäß gesammelt
  • Der Morgenurin des Folgetages beendet die 24 Stunden Harnsammlung
  • Sammeldatum und Zeit sollten dokumentiert werden
  • Die Gesamtmenge des Urins über 24 Stunden sollte dokumentiert werden

Laborkontrollen

Meistens wird einmal pro Kalenderjahr eine Blutabnahme durchgeführt. Dabei werden die AGS-Einstellung und mögliche Folgen der Langzeit-Glukokortikoidtherapie überprüft. Häufig werden dazu folgende Parameter bzw. Werte bestimmt:

  • 17-OH-Progesteron, Androstendion, DHEAS, Testosteron (d. h. Androgene und deren Vorstufen)
  • ACTH, Renin, Elektrolyte
  • Bei Bedarf zusätzlich:
  • Vitamin D, Calcium, Phosphat, alkalische Phosphatase, Parathormon
  • Glukose und HbA1c (Langzeitblutzuckerwert)
  • Blutfettwerte wie Cholesterin, HDL-/LDL-Cholesterin, Triglyceride

Unsere Broschüre

An dieser Stelle möchten wir Ihnen gerne die Möglichkeit geben, die Broschüre der AGS Initiative e.V. herunterzuladen. Diese umfassende Broschüre enthält neben den Themen, mit denen wir uns auf unserer Homepage befassen, weiterführende Informationen, beispielsweise Familienplanung und Fertilität. Ein besonderes Kapitel ist dem Formellen und Bürokratischen rund um das Adrenogenitale Syndrom (AGS) gewidmet.

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Spritzenangst

Viele Menschen und besonders Kinder fürchten sich vor Blutabnahmen. Was können Sie dafür tun, dass die Blutabnahme gut funktioniert? Zunächst sollte vorab ausreichend getrunken werden, damit die Venen besser „gefüllt“ sind als sie es im „ausgetrockneten“ Zustand sind. Ungefähr eine halbe Stunde vor der Blutabnahme kann auch ein Emla®Pflaster oder eine entsprechende Creme verwendet werden. Das Medikament enthält ein Lokalanästhetikum, das die Haut betäubt, sodass der Einstich weniger weh tut.

Wie kann man psychologisch unterstützen?

Wichtig ist eine ruhige und unaufgeregte Reaktion der Eltern oder Begleitpersonen im Rahmen der Blutabnahme. Sie sollten stets ehrlich kommunizieren und handeln und niemals dramatisieren oder verharmlosen.

Vermieden werden sollten folgende Aussagen:

„Das tut nicht weh.“ „Das ist nicht schlimm.“ „Du musst keine Angst haben.“ „Es gibt nur einen kurzen Stich und dann ist es schon vorbei.“ „Wenn du lieb bist, gibt’s danach ein Eis“.

Hilfreicher sind angstmindernde Formulierungen wie:

  • „Du wirst etwas spüren, erzähl mir nachher, was Du gespürt hast.“
  • „Andere Kinder sagen, dass es sich anfühlt als würde sie jemand feste kneifen. Erzähl mir bitte wie es sich für Dich angefühlt hat, wenn es vorbei ist.“
  • „Deine Aufgabe ist es, ganz still zu halten und Dein Kuscheltier festzuhalten / die Hand der Mama zu drücken.“
  • „Du kannst dem Arzt/der Ärztin jetzt sehr helfen, wenn Du Deinen Arm so still wie möglich hältst“.
  • „Du kannst mir helfen, indem Du für mich dieses Pflaster hältst.“
  • „Ich sehe, dass es Dir schwerfällt, Deinen Arm ruhig zu halten. Ich werde Dir dabei helfen / Die Schwester wird Dir dabei helfen.“
  • „Der Arzt/die Ärztin zählt bis drei, dann holst Du tief Luft und hustest fest.“
  • „Drück Dein Kuscheltier/Spielzeug/die Hand der Mama ganz fest.“