Was ist ein Adrenogenitales Syndrom?

In diesem Abschnitt lernen Sie die wichtigsten Fakten zu AGS kennen. AGS ist eine angeborene hormonelle Störung der Nebennieren. Es gibt verschiedene Formen und Schweregrade von AGS – beispielsweise mit und ohne Salzverlust. AGS kann bei allen Geschlechtern auftreten. Bei Mädchen kann es zu einer sogenannten Vermännlichung der äußeren Geschlechtsorgane kommen. Heutzutage ist AGS nicht ungefährlich, aber lebenslang gut mit Medikamenten in Tablettenform behandelbar.

Unter der Diagnose von AGS werden verschiedene Störungen der Nebenniere zusammengefasst, die alle zu einer verminderten Bereitstellung von Kortisol führen. Der verminderten Bereitstellung liegt ein Enzymdefekt zugrunde.

Enzyme sind Eiweiße, die im Falle der Nebenniere an der Bildung von Botenstoffen (Hormonen) beteiligt sind. Damit gehört die Diagnose AGS zu einer Gruppe von Erkrankungen, die man auch als „angeborene Nebenniereninsuffizienz“ bezeichnet. Insuffizienz bedeutet, dass eine Unterfunktion in der Nebenniere besteht.

Die Nebenniere ist eine Hormondrüse, die wie eine kleine Mütze auf der Niere liegt und verschiedene lebenswichtige Botenstoffe produziert, die auch als Hormone bezeichnet werden. Hierzu gehören erstens die Glukokortikoide, die insbesondere zur Bewältigung von Stresssituationen „lebenswichtig“ sind. Zudem kommen zweitens die Mineralokortikoide, die für die Aufrechterhaltung des körpereigenen Salz-Wasserhaushalts notwendig sind.

Drittens sind die Androgene beispielsweise für die Muskelkraft bei Männern und Frauen wichtig, können bei übermäßiger Produktion jedoch zu einem vermännlichten Erscheinungsbild führen.

Beim AGS ist die Produktion von diesen Botenstoffen der Nebenniere verändert, in anderen Worten „insuffizient“. Glukokortikoide und Mineralokortikoide werden in der Nebenniere zu gering produziert und es werden gleichzeitig zu viele Androgene gebildet. In der Folge vergrößert sich die Nebenniere, da sie versucht, die mangelnde Hormonbildung durch Zellwachstum auszugleichen.

Deshalb wird die Erkrankung im Englischen auch als angeborene Nebennierenvergrößerung (engl. congential adrenal hyperplasia, kurz CAH) bezeichnet. Bei circa 90% der von AGS betroffenen Menschen liegt der sogenannte Enzymdefekt „21-Hydroxylasemangel“ vor.

Je nachdem, wie stark der Enzymdefekt beim Säugling ausgeprägt ist, besteht entweder das Vollbild der Erkrankung – auch als „klassisches AGS“ oder „early onset AGS“ bezeichnet oder eine mildere Form der Erkrankung. Letztere wird als „nicht-klassisches AGS“ bezeichnet und wird auch als „late-onset AGS“ bezeichnet.

Während die Enzym-Restaktivität der sogenannten 21-Hydroxylase beim klassischen AGS in der Regel zwischen 0% und 5% beträgt, liegt diese beim nicht-klassischen AGS noch bei etwa 20% bis maximal 50%. Beim klassischen AGS kann man zusätzlich noch zwischen einem AGS mit Salzverlust (75%-90%) und einem AGS ohne Salzverlust (0%-25%) unterscheiden.

Neben dem klassischen AGS und nicht-klassischen AGS gibt es weitere seltene Formen des adrenogenitalen Syndroms,

  • AGS durch 11β Hydroxylase-Mangel
  • AGS durch 3β Hydroxysteroid-Dehydrogenase-Mangel
  • AGS durch 17α Hydroxylase-Mangel
  • AGS durch StAR-Mangel

die sich nicht nur genetisch, sondern auch in ihrer klinischen Präsentation unterscheiden.

Unsere Broschüre

An dieser Stelle möchten wir Ihnen gerne die Möglichkeit geben, die Broschüre der AGS Initiative e.V. herunterzuladen. Diese umfassende Broschüre enthält neben den Themen, mit denen wir uns auf unserer Homepage befassen, weiterführende Informationen, beispielsweise Familienplanung und Fertilität. Ein besonderes Kapitel ist dem Formellen und Bürokratischen rund um das Adrenogenitale Syndrom (AGS) gewidmet.

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Hormonproduktion der gesunden Nebenniere

In der gesunden Nebenniere gibt es drei Herstellungs- bzw. Synthesewege für Hormone, die in der Regel offen und „staufrei“ verlaufen. Es bestehen keinerlei „Hindernisse“ für diejenigen Stoffe, die wie kleine Autos auf freien Straßen verkehren und später gemeinsam die lebenswichtigen Hormone bilden. Diese „Herstellungsstraßen“ ermöglichen normalerweise die Bildung des salzhaushaltregulierenden Hormons „Aldosteron“, des Stresshormons „Kortisol“ und den „Androgenen“ als männlichen Hormonen. Im Idealfall werden diese drei Substanzklassen völlig störungsfrei und im hinreichenden Ausmaß produziert.

In der gesunden Nebennierenrinde werden drei verschiedene Substanzklassen von Botenstoffen (Hormonen) gebildet:

  • Glukokortikoide: Kortisol
  • Mineralokortikoide: Aldosteron
  • Androgene: Testosteron und Testosteronvorstufen

Glukokortikoide

Bestimmt kennen Sie die Wortstämme „Gluko“ (d. h. Zucker) und „Kortex“(d. h. hier aus der Rinde, genauer der Nebennierenrinde). Wichtigster und bekanntester Vertreter der sogenannten Glukokortikoide ist das körpereigene und lebenswichtige Stresshormon „Kortisol“. Zum einen ist es für die Stabilisierung des Blutzuckers zu-ständig – daher der Wortstamm „gluko“. Zum anderen wird das Kortisol vermehrt bei körperlichem Stress wie bei akuter Krankheit mit Fieber, schweren Unfällen oder auch bei Operationen benötigt, um das Ausmaß von Entzündungs- oder Stressreaktionen im Körper zu kontrollieren.

In der Blutzucker-stabilisierenden Wirkung setzt Kortisol Traubenzucker frei, der eine wichtige Energiequelle des Körpers ist. Dadurch wird der Blutzuckerspiegel auch im Hungerzustand konstant gehalten, was besonders in Belastungssituationen von Bedeutung ist. Kortisol muss auch im Blut vorhanden sein, damit das Hormon „Adrenalin“ wirken kann. Darüber spielt es eine wichtige Rolle im Hinblick auf eine gesunde Abwehr- und Entzündungsreaktion.

Mineralokortikoide

Bestimmt kennen Sie bereits das Wort „Mineralien“ und verbinden damit den Gedanken an „Salze“. Die sogenannten „Mineralokortikoide“ sind Hormone, welche den Salzhaushalt im menschlichen Blut sowie den Flüssigkeitshaushalt im Körper regulieren.

Das wichtigste Mineralokortikoid ist das „Aldosteron“. Es sorgt dafür, dass im Körper genügend Salz in Form von Natriumchlorid zurückgehalten und nicht sofort über die Niere ausgeschieden wird. Gleichzeitig führt es zur Ausscheidung eines zweiten wichtigen Blutsalzes, dem Kalium. Mit dem Salz wird auch Wasser im menschlichen Körper gehalten – und somit auch stets ein gesunder und altersgerechter Blutdruck. Wenn der Körper jedoch zu wenig Aldosteron bildet, verliert er zunehmend Salz und Wasser, der Blutdruck fällt ab und es kommt in der Folge zu einer „Salzverlustkrise“. In einem solchen Fall kann die Konzentration des Kaliumsalzes so stark ansteigen, dass Herzrhythmusstörungen und schlimmstenfalls auch ein Herzstillstand folgen.

Androgene

Fast alle Menschen kennen das Wort „Testosteron“ und denken dabei schnell an große, starke und behaarte Männer. Testosteron ist der bekannteste Vertreter der sogenannten „Androgene“, die auch als Geschlechtshormone bezeichnet werden. Unabhängig vom Geschlecht führen diese Androgene zu Haarwuchs, Muskelzuwachs und einer tiefen Stimme.

Hat eine erwachsene Frau zu viele Androgene im Körper, kommt es meist zu einer verstänkerten und als unangenehm empfunden Behaarung nach männlichem Muster – in medizinischen Kreisen auch als „Hirsutismus“ bezeichnet.

Zudem können Regelstörungen und ein allgemein vermännlichtes Erscheinungsbild auftreten.

Informationen für alle Altersklassen

Unsere Internetseite bietet umfassende Informationen zu AGS bei Neugeborenen, Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Egal in welcher Altersgruppe Sie sich befinden, bei uns finden Sie fundierte Informationen zu Diagnoseverfahren, medizinischen Aspekten, Behandlungsmöglichkeiten, Familienplanung, psychosozialer Unterstützung und vielen anderen relevanten Themen. 

Was passiert beim AGS?

Beim AGS kommt es durch einen erblich bedingten Enzymmangel zu einer Störung der Hormonbildung in der menschlichen Nebennierenrinde. Normalerweise bauen verschiedene Enzyme aus einer gemeinsamen Vorstufe – dem Cholesterin – die Glukokortikoide (Kortisol), die Androgene (Testosteronvorstufen) und die Mineralokortikoide (Aldosteron) auf. Wenn bei einem AGS eines der wichtigen Enzyme namens „21-Hydroxylase“ nicht ausreichend wirksam ist, ist die Produktionskette an dieser Stelle unterbrochen. Nun werden Kortisol und Aldosteron nicht ausreichend, Androgene jedoch im Überschuss produziert. Die Hirnanhangsdrüse erkennt in diesem Fall, dass die Menge an Kortisol nicht ausreicht und versucht die Nebennierenrinde durch einen anderen Botenstoff namens „ACTH“ weiter zur Produktion von Kortisol anzuregen. Hierbei kann jedoch das Hormon, das hinter dem Enzymblock liegt, nicht weiter ansteigen (Kortisol und Aldosteron). Das hohe ACTH regt dann jedoch die Nebennierenrinde an, ganz viele Androgene zu produzieren.

Beim AGS sind durch den erblich bedingten Enzymdefekt die Wege zum Stresshormon Kortisol und zu dem Salzhaushalt regulierenden Hormon Aldosteron „blockiert“. Es funktioniert nur noch der Weg zu den Androgenen, weshalb diese jetzt vermehrt in der Nebenniere produziert werden.

Die Produktion von Kortisol wird zentral vom Kopf gesteuert, d. h. vom Hypothalamus im Zwischenhirn und von der Hirnanhangsdrüse. Man nennt diese Steuerung auch die „Hypothalamus-Hirnanhangsdrüsen-Nebennieren-Achse“. Merkt der Körper, dass zu wenig Kortisol vorhanden ist, geschieht eine Rückmeldung an den Hypothalamus sowie an die Hirnanhangsdrüse im Gehirn. Die Gehirnbotenstoffe vom Hypothalamus namens „Corticoreleasing Hormon=CRH“ und von der Hirnanhangdrüse (Hypophyse) namens „Adrenocorticotropes Hormon der Hypophyse=ACTH“ werden nun vermehrt ausgeschüttet. ACTH regt zusätzlich die Nebennierenrinde an, alle ihre 3 Botenstoffe wie Kortisol zu produzieren (siehe Abbildung: Was passiert beim AGS).

Ist die Konzentration von Kortisol im Körper sehr hoch, geschieht eine Meldung an die Hirnanhangsdrüse, dass jetzt genug Hormone vorhanden sind und die Ausschüttung von ACTH und CRH gestoppt werden kann. Dies wird auch als „negative Rückkopplung“ bezeichnet. In der Folge werden weniger CRH und ACTH freigesetzt und die Nebenniere damit weniger zur Kortisol-Produktion angeregt. Aufgrund des Kortisolmangels beim AGS werden vermehrt CRH und ACTH ausgeschüttet. Dadurch wird die Nebenniere angeregt, Kortisol zu produzieren, was aber aufgrund des Enzymdefektes nicht gelingt. Das einzige Produkt, das die „AGS-Nebenniere“ herstellen kann, sind die Androgene, deren Produktion in der Folge immer weiter bzw. ungehindert ansteigt.

Beim AGS fehlt neben Cortisol auch der Botenstoff Aldosteron. Wie bereits erwähnt, ist Aldosteron ein Mineralokortikoid und für die Regulation des körpereigenen Salz-Wasserhaushalts von großer Bedeutung. Mineralokortikoide sorgen dafür, dass im Körper genügend Salz in Form von Natriumchlorid einbehalten und nicht über die Niere ausgeschieden wird. Fehlt Aldosteron, liegt ein AGS mit Salzverlust vor, da der Körper ohne Aldosteron kein Salz im Körper halten kann und dieses ungehindert und zügig über die Nieren ausscheidet. Gleichzeitig führt Aldosteron zur Ausscheidung eines zweiten wichtigen Blutsalzes, dem Kalium. Das Fehlen von Aldosteron führt zu einem Anstieg an Kalium im Blut. Ein Zuviel an Kalium im menschlichen Körper kann zu lebensbedrohenden Herzrhythmusstörungen führen. Mit dem Salz wird auch Wasser im Körper gehalten und gleichzeitig damit der Blutdruck in einer ausreichenden Höhe gehalten. Die Produktion der Mineralokortikoide wird maßgeblich über ein eigenes System reguliert – das sogenannte „Renin-Angiotension-Aldosteron-System“.

Fällt der Mineralokortikoid-Spiegel ab, steigt die Konzentration von Renin und Angiotensin im Blut. Gleichzeitig wird in der Nebenniere zunehmend Aldosteron gebildet. Fehlt das Aldosteron beim AGS mit Salzverlust, steigt das Renin aus der Niere an und es werden vermehrt „Angiotensinogen und Angiotensin I + II“ gebildet. Aufgrund des Enzymdefekts jedoch kein Aldosteron. Ein erhöhter, im Blut messbarer Reninwert ist demnach ein Hinweis auf das Vorliegen eines Minalokortikoidmangels, genauer „Aldosteronmangel“ und weist damit auf ein AGS mit Salzverlust hin.

Zusammenfassend kann man sagen, dass bei einem AGS in der Nebenniere zum einen zu wenige Hormone wie Cortisol und Mineralokortikoid und zum anderen zu viele Hormone in Form von Androgenen produziert werden. Man findet beim „21-Hydroxylasemangel“ klinische Symptome der Nebennierenunterfunktion und des Überschusses an männlichen Hormonen. Durch das Fehlen von Cortisol ist die Anpassung auf Stresssituationen (Krankheit, Infekt, Fieber, Operationen, starke Schmerzen) vermindert. Der Körper mit AGS bildet zu wenige Mineralokortikoide. Er verliert Salz und Wasser, der Blutdruck fällt und Betroffene neigen im unbehandelten Zustand zu einer „Salzverlustkrise“. Die Konzentration des Kaliumssalzes steigt zudem so stark an, dass schlimmstenfalls ein Herzstillstand eintreten kann. Dies gilt es mit allen – glücklicherweise zur Verfügung stehenden – medizinischen Mitteln zu vermeiden.