AGS bei (jungen) Erwachsenen

In diesem Abschnitt lernen sie Änderungsmöglichkeiten im Hinblick auf die Medikamentengabe ab dem jungen Erwachsenenalter sowie alle essenziellen Vorsorgeuntersuchungen kennen. Die sogenannte „Transitionsmedizin“ ermöglicht einen gelungenen Übergang von der Kinderendokrinologie zur Erwachsenenendokrinologie.

Nach Abschluss des Wachstums ist es prinzipiell möglich, von Hydrocortison auf länger wirksame, synthetisch hergestellte Glukokortikoid-Präparate wie Prednison oder Dexamethason umzustellen. Dies hat den Vorteil, dass aufgrund der längeren Wirksamkeit Prednison nur zweimal täglich und Dexamethason nur einmal täglich eingenommen werden muss. Allerdings wirken Prednison und Dexamethason deutlich stärker, sodass häufiger Nebenwirkungen wie hoher Blutdruck, Gewichtzunahme, Hautstreifenbildung (Striae), Akne und auch eine schlechtere Glukoseverträglichkeit (diabetische Stoffwechsellage) auftreten können. Prinzipiell ist das Hydrocortison dem körpereigenen Kortisol am ähnlichsten und damit auch am verträglichsten. Mittlerweile gibt es auch ein Hydrocortison-Präparat mit verzögerter Wirkstofffreisetzung, dass extra für Menschen mit AGS entwickelt wurde. Dieses muss nur zweimal am Tag eingenommen werden – morgens direkt nach dem Aufstehen und abends vor dem Einschlafen.

Vorsorgeuntersuchungen

Neben den jährlich notwendigen endokrinologischen Kontrollen sind auch weitere regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen sinnvoll. Wie bereits erwähnt sollte wegen der Langzeit-Glukokortikoidtherapie im Alter zwischen 25 und 30 Jahren eine Knochendichtemessung durchgeführt werden, da in diesem Alter die maximale Konchendichte erreicht wird und man bereits abschätzen kann, ob ein Risiko für eine später verminderte Knochendichte besteht. Bei Frauen werden regelmäßige gynäkologische Vorsorgeuntersuchungen empfohlen (inkl. Routine-PAP-Abstrich zum Screening auf Gebärmutterhalskrebs) und bei Männern regelmäßige Ultraschallkontrollen der Hoden beim Urologen (TART-Screening).

Unsere Broschüre

An dieser Stelle möchten wir Ihnen gerne die Möglichkeit geben, die Broschüre der AGS Initiative e.V. herunterzuladen. Diese umfassende Broschüre enthält neben den Themen, mit denen wir uns auf unserer Homepage befassen, weiterführende Informationen, beispielsweise Familienplanung und Fertilität. Ein besonderes Kapitel ist dem Formellen und Bürokratischen rund um das Adrenogenitale Syndrom (AGS) gewidmet.

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Transition

Wenn man sich überlegt, dass heutzutage die Lebenserwartung der Menschen zwischen 80-100 Jahren liegt, steht fest, dass man als junger Erwachsener noch ¾ – ⅘ des Lebens vor sich hat. Eine gute Gesundheit für diese lange Lebenserwartung wünscht sich wohl jeder Mensch für sich und seine Liebsten. Aus diesem Grund ist es besonders wichtig, dass mit einer chronischen Erkrankung der Wechsel von der Kinder- und Jugendmedizin in die Erwachsenenmedizin gut gelingt. Diese Übergangsphase wird auch als „Transition“ bezeichnet. Dabei handelt es sich keinesfalls um ein Ereignis, welches einseitig abläuft. Vielmehr geht es um einen lang angebahnten Prozess, in dem die jugendlichen Menschen immer besser zu ihrer Erkrankung und Therapie informiert sind und sich zunehmend selbstständig um die eigenen medizinischen Belange kümmern. Beispielshalber gehören dazu alleinige Gänge zur Sprechstunde, der Überblick über die benötigten Medikamente und Vorsorgeuntersuchungen oder etwa ein fundiertes Wissen zum bisherigen Krankheitsverlauf.

Es ist zu empfehlen, bereits im jugendlichen Alter einen Ausblick in die Erwachsenenmedizin zu wagen und sich einen Eindruck darüber zu verschaffen, wie es wohl sein wird, wenn man ab einem Alter von etwa 18-20 Jahren dort betreut wird. Generell gilt, dass in der Erwachsenenmedizin die Termine enger getaktet sind und man sich gut auf die Sprechstunde vorbereiten sollte, damit man nichts vergisst. Insgesamt wird auch mehr Eigenverantwortung erwartet als in der Kinder- und Jugendheilkunde. In Vorbereitung auf die Transition sollte der Jugendliche zunehmend Kenntnisse zu seiner Diagnose, zur Therapie und zum bisherigen Krankheitsverlauf haben. Außerdem sollte man einen Überblick über die benötigten Vorsorgeuntersuchungen behalten (Blutabnahme, gynäkologische/urologische Untersuchung, Knochendichtemessung, Blutdruckmessung etc.). Falls es genetische Befunde oder Operationsberichte aus der Vergangenheit gibt, wäre es auch gut, eine Kopie davon in den eigenen Unterlagen bereitzuhalten. In jedem Fall empfiehlt es sich, die letzten wichtigen Änderungen und Ereignisse in einem kleinen Heft oder dem eigenen Endgerät zu notieren und zur Sprechstunde mitzubringen.

In manchen Kliniken werden extra „Transitionssprechstunden“ gemeinsam mit Kinder- und Erwachsenenendokrinologen angeboten. Deren Ziel ist ein gemeinsamer Übergabetermin von pädiatrischer Medizin zur Erwachsenenmedizin zusammen mit den Betroffenen. So wird das Sicherheitsempfinden bei den Betroffenen verstärkt und es entsteht ein Gefühl des Ankommens. Passend dazu hat Prof. Dr. med. Nicole Reisch unter der Mitarbeit von Clara Minea eine Broschüre verfasst, die auf folgender Internetseite veröffentlicht ist:

Außerdem hat Herr Prof. Dr. Walter Bonfig eine Broschüre für Jugendliche erstellt, die unter folgendem Link erreichbar ist:

Familienplanung und Fertilität

In diesem Abschnitt lernen Sie das Wichtigste über die Fruchtbarkeit beider Geschlechter mit AGS, Möglichkeiten der Vererbung und vorgeburtlicher Diagnostik sowie und Tipps zur Medi-kamentengabe während einer möglichen Schwangerschaft kennen. Die gute Nachricht: Bei guter Einstellung stehen die Chancen auf ein gesundes Kind sehr gut!

Vorgeburtliche Diagnostik (PND, Pränataltherapie mit Dexamethason)

Beim AGS ist eine vorgeburtliche Diagnostik möglich, wenn das Risiko für ein AGS besteht. Dies ist der Fall, wenn Eltern bereits ein Kind mit AGS haben, ein Elternteil selbst ein AGS hat, wenn in einer Familie ein betroffenes Kind bei Geschwistern vorliegt oder wenn beide Eltern gesicherte Überträger der Krankheit sind. Mittels einer Chorionzottenbiopsie (ab der 10. Schwangerschaftswoche) kann frühzeitig die Diagnose bei einem noch ungeborenen Kind gestellt werden. Nur ausgesprochene Spezialisten sollten eine pränatale Therapie einleiten, sollte eine Notwendigkeit dafür bestehen. In manchen Ländern kann die Diagnose bereits aus einer Blutprobe der Mutter erfolgen. Ziel einer möglichen pränatalen Therapie mit Dexamethason ist es, die bekannte Vermännlichung des äußeren Genitales bei Mädchen zu verhindern. Dazu erhält die Mutter bereits ganz zu Beginn der Schwangerschaft (zwei bis drei Wochen nach Ausbleiben der Regelblutung) Dexamethason, dass im Gegensatz zum Hydrocortison über die Plazenta zum Kind gelangt und dort die Produktion der Androgene hemmt. Diese Therapie sollte nur gemeinsam mit einem in dieser Therapie erfahrenen Zentrum durchgeführt werden. Bislang gilt die Therapie noch als eine experimentelle Therapie, da sich erhebliche Nebenwirkungen für Mutter und Kind ergeben können. Ergibt die pränatale Diagnose, dass das Kind nicht betroffen bzw. männlich ist, wird die Therapie beendet. Da es Hinweise gibt, dass die relativ hochdosierte Dexamethasongabe die Entwicklung von Feten beeinträchtigen kann, ist dies ein ethischer Konfliktpunkt. Bei der Mutter können auch ein Schwangerschaftsdiabetes (Gestationsdiabetes), eine Gestose (umgangssprachlich Schwangerschaftsvergiftung) oder eine erhebliche Gewichtzunahme sowie Hautstreifenbildung (Striae) unter der Therapie mit Dexamethason auftreten. In 7 von 8 Fällen ist die Therapie wieder zu beenden, weil das Kind nicht von AGS betroffen ist oder es sich um einen betroffenen Jungen handelt.

Kann ein nächstes Kind wiederum ein AGS haben?

Wenn ein Kind mit AGS geboren wurde, besteht bei den gleichen Eltern die Möglichkeit, dass auch Geschwister des Kindes ein AGS haben können. Bei der Vererbung sind die Eltern gesund, aber Überträger der Hormonbildungsstörung. Circa einer von 56 Menschen ist Übertragender für das AGS (diese Rate kann regional auf der Welt schwanken). Kinder von zwei Übertragenden haben generell zu 25% ein Risiko für ein AGS. Die Hälfte der Kinder sind wie ihre Eltern selbst gesunde Überträger und 25% der Kinder sind gesund und keine Überträger.

Abbildungen aus der AGS Broschüre des Hypophysen und Nebennierennetzwerks e.V. „Das Adrenogenitale Syndrom – ein Ratgeber für Jugendliche mit klassischem 21-Hydroxylasemnagel AGS“

Molekulargenetische Untersuchungen beim AGS

Das AGS ist eine erbliche Erkrankung. Der Erbgang ist „autosomal rezessiv“, das heißt, dass die Eltern gesunde Überträger sind, aber jeweils eine Kopie eines Gens für das Enzym 21-Hydroxylase haben, bei dem ein Fehler vorliegt. Wird einem Kind von beiden Eltern eine Kopie mit einem Fehler vererbt, so fehlt ihm die genetische Information für eine ausreichende Enzym-funktion und es wird ein AGS haben. Je nach Schwere dieser Fehler, ist entweder keine Restfunktion des Enzyms (schweres AGS) oder eine Restfunktion des Enzyms (schwächeres AGS) vorhanden. Aus der Art der Genfehler (Mutation) kann man daher auf die Schwere des AGS schließen. Mit dieser molekulargenetischen Untersuchung lässt sich auch feststellen, ob andere Familienmitglieder (z. B. Geschwister der Eltern oder Geschwister eines Kindes mit AGS) einen Fehler im Gen für die 21-Hydroxylase übertragen können. Da aber nur einer von 56 Menschen einen solchen Fehler in diesem Gen hat, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Geschwister von Eltern eines Kindes mit AGS ebenfalls einen Partner finden, der Überträger einer Mutation ist, gering. Die molekulargenetische Untersuchung kann an einer entnommenen, geringen Blutmenge durchgeführt werden.

Das Gen für die 21-Hydroxylase ist auf dem Chromosom 6 lokalisiert. Fehler in diesem Gen gehen mit einer verringerten Enzymaktivität einher. So führt das Fehlen großer Abschnitte des Gens (Deletion) zu einem kompletten Funktionsverlust, bei geringeren Veränderungen (Mutationen) ist noch eine Restfunktion erhalten. Je nach Art, der von den Eltern vererbten Veränderungen liegt ein schweres oder milderes AGS vor

Fertilität als AGS Betroffene

Menschen mit AGS können spontan Kinder kriegen oder zeugen. Hierbei ist es allerdings wichtig, dass das AGS gut eingestellt ist. Im Rahmen der Schwangerschaft werden Mütter regelmäßig untersucht. Hierbei kann es durchaus nervenaufreibend sein, wenn sich die behandelnden Ärzte in der Gynäkologie nicht gut mit dem AGS auskennen. In der Schwangerschaft ist es wichtig, alle drei Monate zum Endokrinologen zu gehen. Die AGS Medikation bleibt in den ersten 6 Schwangerschaftsmonaten bei unkompliziertem Schwangerschaftsverlauf meistens unverändert und wird ggf. den letzten 3 Schwangerschaftsmonaten erhöht. Eine Glukokortikoid-Therapieempfehlung (Therapieplan) für die Entbindung ist empfehlenswert und sollte vom behandelnden Endokrinologen erstellt werden. Aufgrund der Glukokortikoidtherapie besteht ein erhöhtes Risiko für eine Schwangerschaftsdiabetes, deshalb ist es wichtig, dass man einen Zuckerbelastungstest (Glukosetoleranztest) durchführt.

Der Geburtsmodus bei AGS-Frauen hängt vom Genitalstatus und einer evtl. erfolgten Genitaloperation ab. Bei einem Großteil wird jedoch ein Kaiserschnitt empfohlen und durchgeführt. Dies muss gemeinsam von Patientin und Geburtshelfer entschieden werden. Nach der Geburt kann ganz normal gestillt werden. Die Einnahme von Hydrocortison und Fludrocortison steht dem Stillen nicht im Weg. Sehr wichtig ist, dass bei einer von AGS betroffenen Schwangeren auch der Kindsvater humangenetisch auf eine AGS-Trägerschaft untersucht wird. Solche Untersuchungen in Form einer einmaligen Blutentnahme bieten die Endokrinologen in den Spezialzentren in der Regel an. Eine Untersuchung im Vorhinein, schließt beim Kind AGS aus, sofern der Vater kein Träger ist. Beim Neugeborenen ist es wie bereits erwähnt nicht immer leicht, aufgrund des Hormonprofils direkt nach der Geburt ein AGS zu einhundert Prozent auszuschließen. Die Untersuchung des Vaters auf eine AGS-Trägerschaft vor der Geburt des Kindes von einer AGS Betroffenen Mutter ist die ratsamste Methode.

Aus ärztlicher Sicht

Fertilität bei Frauen mit AGS

AGS Frauen sind fertil, wenn sie endokrinologisch gut eingestellt sind. Die Fruchtbarkeit ist gegenüber der Normalbevölkerung allenfalls geringfügig vermindert. Je besser die endokrinologische Einstellung, desto höher die Chance schwanger zu werden. Bei einem geplanten Kinderwunsch kann der Partner genetisch auf eine AGS-Trägerschaft untersucht werden. Sofern der Partner AGS-Überträger ist und man selbst AGS hat, beträgt die Wahrscheinlichkeit 50% ein AGS Kind zu bekommen. Hierbei kann man eine Dexamethason-Therapie ab Empfängniszeitpunkt beginnen, sodass das Kind keine Genitalvermännlichung entwickelt, sollte es ein von AGS betroffenes Mädchen werden. Die Dexamethason-Therapie gilt jedoch wie bereits erwähnt derzeit noch als eine experimentelle Therapie, die mit potentiellen Nebenwirkungen für Mutter und Kind einhergehen kann. In Spezialzentren kann bereits man ab der 7./8. SSW das Geschlecht des Kindes im mütterlichen Blut bestimmen (sogenannte Geschlechtsbestimmung aus fetaler DNA im mütterlichen Blut) oder sonst ab der 10. SSW mittels Chorionzottenbiopsie. Nach dem Ende der Schwangerschaft muss die Mutter endokrinologisch eng überwacht werden, wenn das Dexamethason ausgeschlichen wird. Wie auch in anderen Lebenslagen gilt es hier, unter etwaig zu rascher Dosisreduktion eine lebensbedrohliche Nebennierenkrise zu verhindern.

Aus ärztlicher Sicht

Fertilität bei Männern mit AGS

Auch als Mann mit AGS ist es langfristig wichtig, medikamentös gut eingestellt zu sein. Zuerst gilt es natürlich wie immer, potentiell lebensbedrohliche Nebennierenkrisen zu verhindern. Daneben ist eine gute Einstellung ist auch wichtig, um die Fruchtbarkeit zu erhalten. Bei schlechter Einstellung ist wie bereits bekannt das Auftreten von TART (testikulären adrenalen Resttumoren) im Hoden erhöht. Diese können den Hoden durch Druck schädigen und zu einer verminderten Spermienzahl oder einem kompletten Fehlen von Spermien führen. Hier stellt eine frühzeitige Aufbewahrung von Spermien eine wichtige und anzudenkende Option da.

Wenn bei Männern die AGS-Einstellung schlecht ist, stammt der Großteil der im Körper zirkulierenden Androgene aus der Nebenniere und nicht aus den Hoden. Weil der Körper merkt, dass sehr viele Androgene im Blut vorhanden sind, wird die zentrale Steuerung der Hoden durch die Botenstoffe aus dem Hypothalamus im Zwischenhirn und der Hirnanhangsdrüse „ausgeschaltet“. In der Folge sinken die Botenstoffe LH und FSH aus der Hirnanhangsdrüse ab und die Hoden werden nicht mehr zur Produktion von Testosteron und Spermien angeregt. Dadurch kann es bei schlecht eingestellten Männern zu einer Einschränkung der eigenen Fruchtbarkeit kommen.

Normale Steuerung der Hodenfunktion durch übergeordnete Botenstoffe aus dem Zwischenhirn und der Hirnanhangsdrüse

Ausgeschaltete Steuerung der Hodenfunktion durch die übergeordneten Botenstoffe aus dem Zwischenhirn und der Hirnanhangsdrüse bei hohen Testosteronspiegeln aus der Nebenniere bei schlecht eingestelltem AGS